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Leben als "glücklicher Augenblick". Wie Juri Gagarin die Welt veränderte
Veröffentlicht von Alexei Makartsev in Gagarin, Weltraumfahrt, Sowjetunion, Geschichte • 11.04.2011 15:57:19

„Pojechali!“ „Los geht’s!“, rief Gagarin in seiner Rakete am 12. April 1961

Wie ein unbeholfener Bärenjunge watschelte der 1,65 Meter große Mann im klobigen Raumanzug mit der Aufschrift „CCCP“ zu der rauchenden weißen Metallsäule. Die Menschen am Baikonur starrten ihn mit ängstlichen Gesichtern an, doch er strahlte vor Glück. „Einer für alle, alle für einen!“, sagte fröhlich Oberstleutnant Juri Gagarin, ehe er in den Aufzug zur Raketenspitze kletterte. Um 6.07 Uhr MEZ stieg die „Wostok“ mit einem Höllendonner zum Himmel hinauf. Durch das Knistern und Rauschen drang aus dem Lautsprecher der Ruf: „Pojechali!“ „Los geht’s!“. Zwei Stunden später kannte die ganze Welt seinen Namen. Es war der 12. April 1961. Der Tag, an dem die Menschheit ihre irdische Wiege verließ.
„Er war ein gewöhnlicher Mann in ungewöhnlichen Umständen“, sagte ein Kosmonaut über Juri Gagarin. „Mein Leben ist ein einziger glücklicher Augenblick“, schrieb Gagarin selbst. Der Bauernsohn aus dem Dorf Kluschino hatte es geschafft, mit 27 Jahren der „Held des Jahrhunderts“ und Ehrenhäuptling des liberianischen Stammes Kpelle zu werden. Mit 37 war er bereits tot. Abgestürzt in einem Flugzeug. Noch während seiner Ausbildung zum Metallgießer fing der 20-jährige Gagarin mit der Fliegerei an. Ein Jahr später wechselte er zur Tschkalow-Schule für Militärpiloten. Er hatte gerade zwei Jahre Dienst im russischen Norden hinter sich, als ein fremder Militärarzt im Stab seiner Einheit erschien. „Wollen Sie Testpilot werden?“ fragte der Mann. „Es geht um Flüge in sehr großen Höhen“.


Denkmal für Gagarin auf dem Weltraumbahnhof Baikonur. Foto: alm

Er sagte Ja. 1960 reiste Gagarin nach Moskau, um als Mitglied eines geheimen Kosmonautentrupps sich mit dem „Thema Sechs“ zu beschäftigen. Das war der Codename des sowjetischen bemannten Raumfahrtprogramms. Ende der 50er Jahre lieferten sich die Supermächte einen Wettlauf um die Herrschaft im All. Nach dem Sputnik-Start 1957 stand es 1:0 für Moskau. Nun wollten die Kommunisten einen zweiten Coup landen. In Eile wurden in der Sowjetunion militärische Raketen umgebaut und getestet. Es gab Probleme. Im Oktober 1960 explodierte auf dem Raumbahnhof Baikonur das „Erzeugnis 8K64“. 92 Menschen starben.
Unterdessen wurden im Sternenstädtchen bei Moskau 20 Kosmonautenkandidaten von den Ärzten „gefoltert“. Die harten Militärflieger kreisten in Zentrifugen, bis sie 560 Kilogramm wogen. Sie wurden in Druckkammern eingesperrt, wo die Arbeit in 14 Kilometern Höhe simuliert wurde. „Ihr Blut kochte fast, die Augen fielen ein, ihre Wangen bliesen sich auf“, sagt ein Augenzeuge. Mit der Sauerstoffmaske auf dem Gesicht habe Juri Gagarin ein Lied eingestimmt: „Das Schwarze Meer ist das Blaueste von allen...“
Er sei der Hilfsbereiteste und der Tapferste gewesen. Er sah gut aus und er lachte gern. Der perfekte Sowjetmensch. Der publikumswirksame Pionier im All. Erst kurz vor dem Start wurde Gagarin von einer Staatskommission als erster Kosmonaut ausgewählt. Er muss es geahnt haben, doch durfte er niemandem etwas verraten. Für seine Eltern, die Geschwister und Freunde war er bloß ein Testpilot. „Ich muss eine Weile weg“, sagte Juri beim Abschied. „Wie weit?“, fragte die Mutter. „Sehr weit“, antwortete ehrlich der Sohn.
Seine Erdumkreisung dauerte 108 Minuten. „Eines nach dem anderen rasten unter mir die Länder vorbei. Sie waren eine grenzenlose Einheit“, berichtete später der junge Kommunist. Gagarin hatte nichts zu essen an Bord. Da die „Wostok“ von der Erde gelenkt wurde, musste er auch keine Geräte bedienen. Nur beobachten. Unten auf der Erde merkten die Mediziner, dass der Puls des Kosmonauten auf 180 Schläge pro Minute beschleunigte. Wird seine Psyche den Anblick des Weltalls bewältigen? Das wusste niemand. Die Ärzte hatten Angst, dass Gagarin in einem Anfall von Wahnsinn die manuelle Steuerung übernehmen und abstürzen würde. Darum hatte man das Steuersystem der „Wostok“ mit einem Schloss blockiert, das durch die Eingabe eines geheimen Codes freigeschaltet werden konnte. Der Zettel mit dem Code wurde im Raumschiff in einem versiegelten Umschlag deponiert. Nach der Vorstellung der Wissenschaftler sollte ein geistig gesunder Mensch im Notfall den Umschlag öffnen und die Zahl eingeben. Ein Verrückter würde jedoch an dieser Aufgabe scheitern. Gagarin brauchte den Umschlag nicht aufzumachen: Er kannte den Code bereits. Unmittelbar vor dem Start hatte ein Techniker dem Kosmonauten die „geheime“ Zahl verraten. Auf dem Zettel stand „25“...


Diesen Baum hat Gagarin nach seinem Weltraumflug in Baikonur gepflanzt

Gagarins Flug war nicht nur ein wissenschaftliches Experiment, sondern auch eine große Werbeaktion für den Kommunismus. Er lief nach außen perfekt ab. Erst Jahrzehnte später erfuhren die Russen, dass ihr Weltraumeroberer zweimal in Todesgefahr geschwebt hat. Beim Landeanflug fing die Kapsel an, sich schnell um die eigene Achse zu drehen, so dass Gagarin zunächst nicht herauskatapultiert werden konnte. Glücklicherweise funktionierte der Schleudersitz. Nur wäre der Kosmonaut im Fall beinahe erstickt, weil er auf Anhieb nicht das Sauerstoffgerät fand. Nach der Landung auf einem Feld bei Saratow wurde der Russe von neugierigen Bauern umringt. Sein Befehl lautete, zum nächsten Telefon zu rennen und in Moskau anzurufen. Doch Juri, der nette Dorfjunge, nahm sich Zeit für ein Gespräch. „Sät ihr schon aus?“, fragte er interessiert.
Gagarins schlichte Freundlichkeit und sein strahlendes Lächeln wirkten sympathisch. Nur war das der Parteiführung nicht genug. Die Sowjetpropaganda machte ihn zum Volkshelden: „Juri Gagarin ist ein würdiger Vertreter unserer heroischen Nation, die die revolutionäre Umgestaltung der Welt gestartet hat. Er verkörpert die besten Eigenschaften des Sowjetmenschen: Die Treue der Partei und den Idealen des Kommunismus“. So wurde der Mensch zur Ikone. Gagarin war Deputierter des Obersten Sowjets. Als Friedensbotschafter Moskaus bereiste er in sieben Jahren 27 Länder. In Paris küsste ihn Brigitte Bardot. In London umarmte ihn die Queen. „Der Ruhm hat seinen Charakter nicht verdorben. Er macht sich gut“, notierte in seinem Tagebuch der Leiter des Kosmonautentrupps.



Doch die Freunde Gagarins waren sich dessen nicht so sicher. „Nach einer Feier gingen wir hinaus, um frische Luft zu schnappen. Er wirkte traurig“, erinnert sich der Maler Jakow Skripkow an den 25. März 1968. „Dann brach es aus ihm hinaus: ,Warum haben sie mich ausgewählt? Ich will keine Vorzeigepuppe sein. Ich will fliegen’“. Gagarin hatte nur noch zwei Tage zu leben.
Warum stürzte er ab? Weil er einem Wetterballon ausweichen wollte? Weil sein Trainingsflugzeug UTI MIG-15 bei dichter Bewölkung in den Sog einer anderen Maschine geriet? War der Höhenmesser an Bord der MIG defekt gewesen? Gagarins Tod war ein Rätsel. „Wir haben einen wunderbaren Menschen verloren“, schrieb in seinen Erinnerungen der Parteichef Nikita Chruschtschow. Im Volk dachte, dass die Außerirdischen Gagarin geholt hätten. Dann munkelte man, dass der Kosmonaut betrunken gewesen sei. Die Russen lieben ihren Juri immer noch, weil er genau so war wie sie.


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