Fernsehkomiker Al Murray eröffnet das “Oktoberfest” im Londoner Bavarian Beerhouse„Die Krrügee… hoooch!!“ Nach zwei Maß und reichlich Übung dürfte Ben mit der kupfernen Kuhglocke auf dem blauen Filzhut nicht weniger bayerisch klingen als ein typischer „Wies’n“-Besucher in München. „In diesen harten Zeiten… gebt uns was zu feiern“, ruft mit schwerer Zunge Max, sein Tischnachbar mit einem aufgeklebten blonden Frauenzopf über der Halbglatze. Zu mitreißenden Gitarre- und Akkordeonklängen der „Lausbuba“ Tobias und Holger steppen die Londoner Banker fröhlich auf den Biertischen, währen die vollbusigen Dirndldamen unermüdlich für Nachschub an Erdinger und „Pornobrause“ (Wodka-Limo) sorgen. An anderen Tischen wird eifrig „Maßkruagstemma“ geübt. An diesem Abend muss man sich um die deutsch-britische Freundschaft keine Sorgen machen.
Sie folgen dem Lockruf der „unforgettable Fräuleins“ und des „Schnitzel-Madness“ in die deutschen Kneipen, um sich dort zu „Oompah“-Blasmusik gehen zu lassen. Das „Oktoberfest“-Fieber hat zurzeit die Londoner voll im Griff. Bis zum 29. Oktober steigt in der Metropole ein Trinkfest, dessen Besucher neben Bratwürstl und Haxe noch jede Menge deftiger Kulturklischees serviert bekommen. Wer nach zehn Runden im „Jägerzug“ (Jägermeister mit Red Bull) am nächsten Tag Kater hat, braucht sich im Büro nicht zu entschuldigen. Ein typischer Brite gibt sogar gerne damit an, bei den „Krauts“ abgestürzt zu sein.
“Oompah”, Bier und tiefe Ausschnitte – was braucht man mehr zum Feiern? Fotos: alm„Vergiss München – wir haben das längste Oktoberfest der Welt“. Seit 2004 wirbt die Frankfurterin Sabine von Reth mit diesem selbstbewußten Slogan für ihre süddeutsche Party im „Bavarian Beerhouse“, die sich mal sechs, mal acht Wochen lang hinzieht. Der Trinkmarathon in Ostlondon, bei dem 40 000 Würstchen und 900 Kilogramm Sauerkraut verzehrt werden, ist ein großer Erfolg: In sieben Jahren sollen sich die Besucherzahlen auf 12 000 Gäste vervierzigfacht haben. 80 Prozent davon sind Engländer. „Sie sind so lustig und sie trauen sich mehr als die Deutschen“, schwärmt die 42-jährige Unternehmerin, die in ihrem Pub mit 350 Sitzplätzen gelegentlich „Arsenal“-Fußballer, Scotland-Yard-Detektive und Berühmtheiten wie den Stones-Gitarristen Ronnie Wood bewirtet.
Für umgerechnet 17 Euro Eintritt bekommen die überwiegend männlichen Besucher des Oktoberfests im „Bavarian Beerhouse“ ein Maß Bier und ein nützliches Faltblatt mit dem Titel: „How to eat the Weisswurst?“. Wer sich nach etlichen Pints noch auf den Beinen halten kann, kann seine Kräfte mit Freunden bei den traditionellen deutschen Sportarten messen: „Baumstammnageln“ und „Bierdeckelschnipsen“. In diesem Herbst wurde die „Wies’n“ an der Londoner Old Road vom bekannten Komiker Al Murray alias „The Pub Landlord“ eröffnen, der die Deutschen und Briten für „Brüder im (Himbeer)Geist“ hält. In einer Fernsehshow hat Murray einmal Churchill dafür verflucht, im Krieg die Nazis besiegt zu haben: „Sonst wären heute alle Pubs bei uns wie in München“. Das Publikum hat gelacht.
Sabine von Reth glaubt, in den vergangenen Jahren 100 000 Londoner mit dem „Wies’n“-Fieber angesteckt zu haben. Doch es gab in der Hauptstadt noch andere Oktoberfeste. So feierte ein Pub mit dem Namen „Zeitgeist“ bayerische Partys mit Weizenbier, aber „ohne Oompah“. Eine Oktoberfest-Kneipe in Fulham warb mit „Fräuleins in Dirndls“, einem Trachtenwettbewerb und einer deutschen „Bierolympiade“. Der Fußballverein Chelsea FC hatte sein Londoner Clubgebäude vorübergehend in „Klein-Bayern“ verwandelt und zwei „Biermädels“ Heidi und Hansel angestellt. Das größte Trinkgelage fand aber wohl im Shoreditch Park, wo ein dänischer Bier-Liebhaber ein 3 000 Quadratmeter großes Zelt für 2 500 Besucher aufgestellt hat.
Carsten Raun lebt seit 18 Jahren am Bodensee und verdient sein Geld mit Oktoberfesten in Skandinavien. Diesmal will er das „positive Klischee von der deutschen Kultur“ an der Themse verbreiten. Dazu hatte Raun bei einer dänischen Brauerei 50 000 Liter Bier „mit Münchner Geschmack“ bestellt und „original Lederhosen“ nach London mitgebracht, die man gegen Zahlung von 35 Pfund für einen geselligen Abend leihen konnte. Anfang Oktober hieß es im Shoreditch Park „We shunkeln now“ und Hunderte beschwipste Briten sangen unter dem blaugelb-gestreiften Zeltdach das „Kufsteiner Lied“.
P.S.: Die Londoner werden dieses Jahr in den deutschen Kneipen schätzungsweise 150 000 Liter Bier trinken und 15 000 Schnitzel verzehren. Neben der Hauptstadt veranstalten finden Brighton, Sunderland und mindestens drei weitere englische Städte die „Oktoberfeste“. Die Inselbewohner kennen 2000 verschiedene Biersorten und lassen im Schnitt 17 Milliarden Pfund in ihren Pubs. Laut den Umfragen denkt jeder dritte Engländer, dass er nach ein paar Pints attraktiver aussieht.