Es gibt nichts besseres als die Great British Party. Vor allem in harten Zeiten. Fotos: almEin Wort wie ein hartes Urteil: Austerity. Die deutsche Übersetzung (Kargheit, Entbehrung) gibt nicht die gedrückte Stimmung wieder, die im Leitwort der strikten britischen Sparmaßnahmen mitschwingt. Im Herbst will Camerons Regierung bekannt geben, welche Opfer ihre „Austerity“-Therapie dem verschuldeten Königreich abverlangen soll. Solange rätseln die besorgten Briten, wie und wo der dicke Rotstift ihre Familienbudgets treffen wird. Das heißt natürlich nicht, dass in London keiner mehr feiert. Besonders „in“ sind gerade die kostümierten „Retro-Parties“, die die Menschen aus der tristen Realität in die guten alten Zeiten entführen.
Die jazzigen „Prohibitionsparties“ lassen den Nervenkitzel der „hedonistischen Streiche“ der 20er Jahre wieder aufleben. Die gemütlichen „Pyjama-Nächte“ bieten Entspannung mit einem „dekadenten Dreh“, während die „Blitzparties“ das gingetränkte “Niemand-kann-uns“-Gemeinschaftsgefühl der Kriegsjahre heraufbeschwören. Und dann gibt es noch die reanimierte Tradition der gepflegten Bälle, auf denen man wie früher nicht nur das Tanzbein schwingen, sondern auch auf Brautschau gehen kann.
Der jährliche „Queen Charlotte’s Ball“ diente seit 1780 unzähligen jungen Britinnen aus besseren Familien als Schnellkurs im Benehmen und als eine Pforte in die Welt der Reichen und Schönen. 1997 wurde die vornehme „Debütantinnen“-Party eingestellt, weil man sie nicht mehr zeitgemäß fand. Oder, so die inoffizielle Erklärung, weil zu viele Aschenputtel in die Reihen der Prinzessinnen drängten. Seit 2009 ist die musikalische Brautschau wieder zurück – mit Champagner, Walzer, Riesentorte, den perlenbestickten Kleidern und der adeligen Prominenz, vor der die aufgetakelten Teenager ihre Hofknickse machen dürfen. Der letzte „Queen Charlotte’s Ball“ fand Mitte September in der respektablen Londoner Anwaltskammer Inner Temple statt. „Ausgebucht“, stand auf der Webseite des Veranstalters.
...und ja nicht in die Augen gucken: High-Society-Anleitung zum Walzer tanzen, gesehen im Kensington PalastElisabeth II., die lieber mit ihrem Landrover als mit der vergoldeten Kutsche fährt, ließ bereits 1958 die Türen ihres Buckingham-Palastes vor den „Debutantes“ für immer verschließen. Weil manche der jungen Frauen nach den traditionellen Einführungsbällen am Königshof die Silberlöffel aus den Beständen der Windsors mitgehen ließen? Schon möglich. Laut den Palastquellen ging es jedoch der modernen Monarchin darum, ein elitäres Ritual der „High Society“ zu beenden, das nicht mehr zeitgemäß war. Die Queen wird heute „not amused“ sein. Andererseits werden die Einnahmen der modernen Bälle für edle Zwecke gespendet, und im Namen der Wohltätigkeit darf man auf der Insel alles tun, was das Herz begehrt - sogar als Gorilla verkleidet um die St. Paul’s-Kathedrale herum laufen. Schließlich dürfte die Wiedergeburt der Bälle die Herzen mancher älteren Briten wärmen, die sich in der düsteren „Austerity“-Ära als Verlierer sehen.
Eine echte Lady, die sogar einmal der Queen vorgestellt wurde: Zia Foxwell
Zia Foxwell wird froh sein. Ich traf die 68-jährige Schriftstellerin aus Bristol 2007 am Rand einer Ausstellung im Kensington-Palast. Zia saß in ihrem Rollstuhl und schaute sehnsüchtig zum Schaukasten mit ihrem roten Seidenkleid, in dem sie vor einem halben Jahrhundert über das Parkett gewirbelt war. „Im März waren die Cocktail-Partys, auf denen wir die netten jungen Männer kennenlernten, und im Juni startete die Saison der Bälle. Oft ging ich sechs bis sieben Mal die Woche tanzen“, erinnerte sich die Frau, die sich 1958 als eine der letzten „Debs“ vor der jungen Queen verbeugen durfte. Sie war 17 und ihr Herz machte einen Riesensprung. Danach gab es im Palast „schönen Tee mit diesen leckeren kleinen Biskuits“. „Alle waren so gut erzogen, und in den Zeitungen waren keine Horror-Nachrichten zu lesen. Es war solch eine schöne Zeit“, sagte seufzend Zia. Nun ja. Eines ihrer Bücher heißt „Nichts bleibt für immer“.