
Putin-Satire in London: Der Mann aus der Banja (russ. Dampfbad) gehört dazu.
Sie marschierten nicht, sie schwenkten keine Fähnchen, ballten keine Fäuste und lieferten sich keine Straßenkämpfe mit der Polizei. Sie schrien sich nicht mit den harten, sehr direkten russischen Schimpfwörtern den aufgestauten Frust aus dem Bauch heraus. Nein, sie lachten nur. Doch das befreiende Lachen über die arrogante, korrumpierte und unkontrollierte Staatsmacht hatte wohl die gleiche Wirkungskraft wie jene wütenden Protestdemos in Moskau, mit denen im Herbst Tausende Russen ihre “gelenkte Demokratie” vor der ganzen Welt bloßgestellt haben. Wer lacht, hat keine Angst. Wer sich offen manipuliert fühlt, verliert den Respekt und das Vetrauen in die Machthaber. Wenn sich heute Wladimir Putin im größten Land der Welt erneut zum Präsidenten wählen lässt, wird nicht alles wie früher sein.
Die Eintrittskarten kosteten 32 Euro oder 330 Euro, wenn man sich in der Pause mit Champagner und Kaviar stärken wollte. Das sowjetische „Dissidentengefühl“ vom hemmungslosen Lästern über die Strippenzieher im Kreml gab es kostenlos dazu. Am Wochenende versammelten sich in London etwa 2000 Menschen, um bei zwei satirischen Bühnenshows gemeinsam den unschlagbaren Präsidentschaftkandidaten Wladimir Putin zu verspotten.
Der von den Regimegegnern finanzierte Lachangriff auf den zurückkehrenden Kremlchef sollte nicht nur Putin blamieren, er galt auch als ein Mittel, um den Ausgang der russischen Wahl am Sonntag zu beeinflussen. Angeblich sind zahlreiche wohlhabende Russen extra nach Großbritannien gereist, um die populäre Satire „Graschdanin Poet“ (etwa: Bürger und Dichter) zu genießen und am heutigen Sonntag in ihrer Londoner Botschaft den Präsidentschaftsambitionen des 59-jährigen Ex-Geheimdienstlers eine Absage zu erteilen. Es heißt, dass die Wahlzettel hier nicht so leicht gefälscht werden können wie in Moskau oder Jakutsk. Bei den Parlamentswahlen im Dezember hatte Putins Partei „Geeintes Russland“ in London jedenfalls nur zehn Prozent aller Stimmen erhalten, fünf Mal weniger als im russischen Durchschnitt.
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Satireabend im Methodist Central Hall in London. Fotos: almSie nennen sie „Londongrad“: Seit Jahrzehnten zieht die weltoffene und liberale Metropole an der Themse Russen an, die hier ihren Wohlstand mehren, studieren, siedeln oder aber der Verfolgung in ihrer Heimat entkommen wollen. Nach neuen Schätzungen sollen in London 400 000 Russen leben. Eine Handvoll – nach Botschaftsangaben sind es 21 Personen – genießen hier politisches Asyl, weil ihnen nach Überzeugung der Richter in Russland Gefahr oder Unrecht droht. „Großbritannien ist eine Art Reservat für Schwerverbrecher, die sich vor unserer Justiz verstecken”, kritisierte 2009 der damalige Botschafter Jurij Fedotow manche dieser Menschen, die der Spitze der so genannten „Machtpyramide“ in Moskau das Leben schwer machen. Dazu gehören neben den Sowjet-Dissidenten wie Wladimir Bukowski und Überläufern wie der Ex-KGB-Oberst Oleg Gordijewski auch der Milliardär Boris Beresowski, der tschetschenische Rebellenchef Achmed Zakajew, die kremlkritische Journalistin Jelena Tregubowa und der Mobilfunkunternehmer Jewgenij Tchitschwarkin, der „Graschdanin Poet“ nach London geholt hat.
Der 37-jährige Millionär hält es für seine „Bürgerpflicht“, Putin als den Paten der weitverbreiteten russischen Korruption zu entlarven, weswegen er für die Shows aus eigenen Mitteln zwei Konferenzsäle um die Ecke vom Westminster-Palast gebucht hatte.Um die Machthaber in Moskau noch mehr zu ärgern, hatte Tschitschwarkin zum ersten Satireabend das Publikum in das Queen-Elizabeth-Konferenzzentrum eingeladen, in dem einst die russische Regierung auf einem hochkarätigen Wirtschaftsforum um ausländische Investitionen geworben hat.
Am Ende der Show kommen die Dichter mit Anti-Putin-T-Shirts auf die BühneDie politische Poesie des bekannten Moskauer Journalisten und Autors Dmitrij Bykow sorgt seit etwa einem Jahr für Furore in Russland. Bykow füllt die russische Dichter-Klassik mit aktuellen Inhalten, um Putin und den Noch-Präsidenten Dmitrij Medwedjew als machtgierige und dumme Autokraten lächerlich zu machen. Der bekannte Schauspieler Michail Jefremow trägt die messerscharfen Parodien auf der Bühne vor. Nachdem die Anti-Kreml-Kunst zensiert und aus dem russischen Fernsehen verbannt wurde, entwickelte sie sich im Internet zu einem Hit: Mehr als 15 Millionen Menschen haben sich bereits über die frechen Videoclips auf ihren Bildschirmen amüsiert. Die auf Konzetrbühnen live aufgeführte Putin-Satire war zuletzt in Russland restlos ausverkauft. Gestern bekamen die Londoner eine Chance, um über den „stillen KGB-Oberst aus dem Sumpf“ herzlich zu lachen.
Die Methodist Central Hall war voll. Im Saal sah ich viele junge Gesichter. Der “KGB-Oberst” wird die Wahl gewinnen, doch er kann auf ihre Sympathien nicht mehr zählen.
