Als Mexikaner verkleidete Briten im olympischen Fußball-Viertelfinale. Fotos: almIm Internet kursiert seit gestern ein lustiger Videoclip. Er zeigt die Freude dreier nichts ahnender BBC-Moderatoren im Stadion, die am Samstagabend im „goldenen“ Finale des Olympiasiegers Mo Farah über 10 000 Meter vollkommen aus dem Häuschen gerieten. Der Kameramann filmte heimlich, wie zwei elegant gekleidete Männer und eine Frau sich im Studio die Seele auf den Leib brüllten, die Fäuste ballten, kreischten, hüpften und tanzten, so als wären sie wieder Kinder geworden, die soeben von ihren Eltern neue Fahrräder, Gameboys und eine Reise nach Disneyland geschenkt bekommen haben.
Diese Aufnahme ist witzig, herzerweichend und „very un-british“, weil sie eine erstaunliche Verwandlung dokumentiert. Jeder in London wird es in diesen Tagen gemerkt haben: Die Inselbewohner haben unter dem Einfluss der bislang sehr erfolgreichen Spiele ihre natürliche Zurückhaltung und das berühmte „stiff upper lip“ gegen die hemmungslose, gesellige Fröhlichkeit und einen warmen, großzügigen Patriotismus eingetauscht, von dem ausnahmslos alle Olympia-Besucher profitieren dürften.
Fußballspiel im Wembley-StadionIch spürte diesen neuen Geist der Spiele deutlich beim gestrigen olympischen Fußball-Viertelfinale im Wembleystadion. Mexiko spielte gegen Senegal, doch es hätte auch Brasilien gegen Spanien sein können. Wir waren stolze 81 550 Zuschauer, und auf den voll besetzten Tribünen herrschte eine Bombenstimmung. Viele Menschen hatten sich mit Sombreros, Ponchos und falschen Schnurrbärten als Mexikaner verkleidet. Andere trugen afrikanische Kleider, Masken und farbenfrohen Kopfschmuck. Es war den Engländern egal, dass ihre eigene Mannschaft (die später wie gewohnt beim Elfmeterschießen gegen Südkorea unterging) nicht da war, sie unterstützten genauso leidenschaftlich fremde Spieler, deren Namen sie zuvor noch nie gehört hatten. Unnötig zu sagen, dass sich echte Mexikaner und Senegalesen in solch einer freundlichen, fairen und emotional geladenen Atmosphäre sichtbar wohl fühlten.
Mexiko gegen Senegal: Keinem war es egalIch denke, es wird nicht immer so bleiben. Nachdem die olympische Flamme erlischt, wird das sympathische Inselvolk allmählich wieder zu seinem Normalzustand zurückfinden. Heute jedoch feiern die britischen Zeitungen begeistert das neue Gesicht des Königreichs. Ein Kolumnist der Sunday Times beschrieb es als ein Gefühl des „warmen und charmanten Selbstbewusstseins“ in einem Land, das seine üblichen Selbstzweifel über Bord geworfen habe. „In London herrscht eine seltsame Stimmung. Wenn wir es nicht besser wüssten, würden wir es ,Glück‘ nennen“, schrieb ein anderer Kommentator. Vielleicht ist es ja Glück?