Im Nebel oder nicht im Nebel – Hauptsache Sport! Doch viele kleine Briten bewegen sich zu wenig, weil die Regierung den Schulsport stiefmütterlich behandelt. Fotos: almNirgendwo in London entkommt man den Spielen, auch nicht beim Laufen an der Themse. Erstens nickt man jetzt beim Joggen pausenlos fremden Leuten zu und ruft „Hi!“ Der kollektive Olympia-Zusammenschweiß-Effekt bewirkt, dass sich alle Londoner Freizeitsportler freundlich grüßen, als ob sie sich ewig kennen würden. Zweitens fällt mir nach dem zweiwöchentlichen Fernsehmarathon mit all den fitten und schlanken Athleten umso mehr auf, wie viele Dicke es überall gibt. Als ich heute schnaufend an einem Einfamilienhaus am Flussufer vorbeizog, sah ich durch das Wohnzimmerfenster einen biertrinkenden Dickwanst auf dem Sofa, der Chips in sich hineinschaufelte, während im Fernseher olympisches Boxen lief. Ich dachte: “Das Olympiamotto ,Schneller, höher, stärker’ wird diesem Fast-Food-Athleten wahrscheinlich nur im Zusammenhang mit einem Alkoholrausch bekannt sein”.
Minigolf bei Selfridge’s – das geht gerade noch. Aber viele Briten sind SportmuffelDie Londoner Spiele sind ein Bombenerfolg, doch werden sie die Briten schlanker und gesünder machen? Das hätte die Inselnation dringend nötig. Bis 2030 soll der Anteil der stark übergewichtigen Erwachsenen im Königreich von jeweils 26 Prozent auf 43 Prozent steigen. Nach pessimistischen Prognosen wird jedes dritte Kind auf der Insel 2020 Schuluniformen der Größe XL tragen. Kann Olympia etwas daran ändern? Das bezweifle ich sehr. Man müßte vielleicht mit dem Schulsport anfangen. Nur 55 Prozent der britischen Schüler haben mindestens drei Stunden Sport pro Woche. Doch die Regierung von David Cameron hat seit der Machtübernahme ein 190-Millionen-Euro-Programm für den Schulsport gestrichen und 21 Fußball- und Hockeyfelder verkauft. Zur Begründung sagt der Premier, dass die Sportlehrer inkompetent seien, weswegen er keine „indischen Tänze“ mehr im Sportunterricht finanzieren wolle.
Manche Experten sagen nun, dass Großbritannien den gleichen Fehler begehe wie einst Australien, das die Euphorie bei den Spielen in Sydney 2000 nicht dazu genutzt hat, um den Schul- und Breitensport zu fördern. Dazu sagen jedoch andere Briten: “Macht nichts, solange unsere unabhängigen Schulen die olympischen Champions wie am Fließband produzieren”. Ja, im klassenbewussten England wird auf die soziale Herkunft der Sporthelden penibel geachtet. So errechnete die British Olympic Association, dass 50 Prozent ihrer Goldmedaillengewinner in Peking früher Privatschulen mit Jahresgebühren ab 20 000 Pfund besucht haben, die sich 93 Prozent der britischen Bevölkerung nicht leisten können. Der Anteil solcher Elite-Champions bei den Spielen in London beträgt mehr als 30 Prozent, worauf der BOA-Chef Lord Moynihan alles andere als stolz ist.
Autogrammstunde mit Athletin aus dem “Team GB” vor dem Olympischen Dorf. Aber kann Olympia die Briten gesünder machen?Moynihan fordert Camerons Regierung dazu auf, die Chance von London-2012 zu ergreifen und den Sport “weniger exklusiv” zu machen. Auch der Locog-Chef Sebastian Coe hat jetzt gegen die stiefmütterliche Behandlung des Schulsports laut protestiert. Wer weiß, vielleicht findet ja in der Downing Street doch ein Umdenken statt? Für den Fettkloß, der an meiner Laufstrecke wohnt, wird es zu spät sein. Doch falls er Kinder hat, könnten Sie vielleicht eines Tages noch vom britischen Olympia profitieren.