Wandbilder erinnern an den Terror in Belfast. Jetzt kandidiert ein Ex-Anführer der IRA für den Posten des Präsidenten in der Republik Irland. Foto: alm„Wie vereinbaren Sie mit Ihrem Glauben, dass Sie so viele Menschen ermordet haben?“ Eine solche knallharte Frage, in einer Fernsehshow vor laufenden Kameras ins Gesicht geschleudert, könnte jeden gestandenen Politiker ins Straucheln bringen. Nur nicht Martin McGuinness, den 61-jährigen Vize-Regierungschef in Belfast.
Der Brillenträger mit dem lockigen weißen Haar schüttelt sich kurz, dann antwortet er kühl: „Das ist eine skandalöse Bemerkung“. Morgen oder am Samstag könnte einer der früheren Anführer der Terrororganisation IRA zum neuen Präsidenten der Republik Irland werden: Es ist eine beunruhigende Perspektive für die Queen, die womöglich eines Tages dem verurteilten Ex-Guerillakämpfer McGuinness die Hand schütteln muss. Er selbst hat kein Problem damit. „Die Vergangenheit ist ein furchtbarer Ort, aber ich bin ein Mann der Zukunft“, versicherte im Wahlkampf der Mann, der eine Schlüsselrolle bei der Aussöhnung nach dem nordirischen Bürgerkrieg gespielt hat. „Natürlich würde ich als Präsident alle Staatschefs der Welt gleich behandeln“.
Der gewandelte “Pate der IRA” ist nicht der einzige ungewöhnliche Anwärter auf den Posten des „Uachtarán na hÉireann” – so nennt sich in Gälisch der Präsident der kleinen Republik in Nordeuropa mit fünf Millionen Einwohnern. Mit an Bord im irischen Wahlkampf sind unter anderem auch eine ehemalige Eurovision-Gewinnerin, ein Jury-Mitglied in einer TV-Talentshow und ein linksliberaler Intellektueller, der früher als erster offen homosexueller Parlamentarier im mehrheitlich katholischen Land für Schlagzeilen gesorgt hat. Ein irischer Präsident wird für sieben Jahre gewählt und muss sich größtenteils mit repräsentativen Aufgaben begnügen. Traditionell genießen jedoch die „Uachtarán” im Irland ein sehr hohes Ansehen. Somit wird es dem neunten Staatschef seit 1937 nicht leicht fallen, die Fußstapfen der jetzigen beliebten Präsidentin Mary McAleese (60) auszufüllen, die seit 1997 unermüdlich die “Brücken der Verständigung” auf der geteilten Insel gebaut hat.
Nach den letzten Umfragen hatte der 49 Jahre alte unabhängige Kandidat Sean Gallagher die besten Chancen auf den Wahlsieg. Der kahlköpfige Politiker und Unternehmer, der mit einer Sehbehinderung zur Welt gekommen war, ist in Irland für seine Rolle als Jury-Mitglied in der populären TV-Show “Dragon’s Den” bekannt. Gallagher hat bis vor kurzem ein erfolgreiches Hightech-Unternehmen geleitet, er ist ein Social-Media-Enthusiast und Schwarzgürtelträger in Karate und Judo. An Platz Zwei und Drei sehen die Buchmacher Martin McGuinness (Sinn Fein) und den 70-jährigen Labour-Politiker und Hobby-Dichter Michael D Higgins, den manche irischen Kommentatoren allerdings viel zu alt für den Präsidentenjob finden.
Die “Schlusslichter” im Wahlrennen waren der Europaabgeordnete Gay Mitchell (59), die frühere Chefin der Behindertenorganisation “Special Olympics Ireland”, Mary David (57), der schwule Senator David Norris (67) und die 60-jährige Sängerin Dana Rosemary Scallon. Die letztere hat 1970 für Irland den Sieg im Eurovision-Wettbewerb geholt. Scallons Gold-Schlager hieß übersetzt etwa: “Von allem etwas” – es war ein Titel, der in Irland bestens zur jetzigen Präsidentschaftswahl passt.