Der Autor im Buckingham-Palast. Links ist der Priester, der nicht in den Kerker geworfen wurde. Fotos: almKennt ihr den Reiseführer „1000 Dinge, die man in London tun kann“? Als Tipp Nummer 858 steht dort: „Im Buckingham-Palast die Gemälde schauen“. Ein ganz besonderes Erlebnis ist es aber, im Palastgarten zu flanieren, während die Queen dort gerade eine Tasse Tee trinkt. Neben Wimbledon und Ascot gehören sie zu den Höhepunkten des Londoner Sommers – die berühmten „Garden Partys“, zu denen Elizabeth II. alljährlich rund 30 000 Besucher einlädt. Je drei davon gibt es im Juni und Juli, zu jeder darf eine Handvoll Reporter hin, deren Namen vom Königshaus ausgelost werden. Als Korrespondent in Großbritannien hatte ich schon 2007 die seltene Ehre, dabei zu sein. Letzte Woche bat mich der Palast jedoch unerwartet um eine neue Audienz. Natürlich sagte ich nicht Nein.
Das Bild erinnert an eine riesige Schnitzeljagd mitten in London: In der kerzengeraden Mall, die wie ein roter Teppich zum Palast führt, stehen Hunderte Autos, die alle mit einem schwarzen Kreuz auf einem orangefarbenen Hintergrund markiert sind. Es ist ein Zeichen der Zugehörigkeit zur exklusiven Gästerunde der Königin. Vor den Autos klopfen die Gentlemen die Staubkörnchen von ihren Zylindern ab, während die Ladies in teure Schuhe schlüpfen und ihren Mündern mit Lippenstift sinnlichen Glanz verleihen. Zur ersten Gartenparty-2011 hat sich The Mall also in eine riesige Garderobe verwandelt.
The MallMan(n) hat es gut bei der Queen. Die Damen müssen aufgetakelt zum Empfang erscheinen: Kopfschmuck oder Hut sind Pflicht, ebenso ein elegantes Kleid. Ich begnüge mich damit, einen Anzug ohne Kaffeeflecke anzuziehen und die Schuhe zu putzen. Perfekt! Der Zutritt zum Palast wird nach „doppelter Identifizierung“ gewährt: Ein Pass ist Pflicht und wehe, man hat seine Gasrechnung mit der Adresse vergessen – der Wachmann mit der Maschinenpistole ist unerbittlich. 300 Meter lang ist die Warteschlange. Ich stelle mich hinter einen katholischen Priester in knallrotem Gewand an, der sich mit seufzend die Schweißperlen von der Stirn wischt. Er kann sich noch glücklich schätzen: Vor 400 Jahren landeten seine Glaubensbrüder im Palastkerker, statt die königlichen Sandwiches genießen zu dürfen.
Es ist seltsam, ein Gast der Queen zu sein. Man steht zunächst als ein Teil der vielsprachigen Menschenmenge vor dem Palast, dann durchschreitet man das Tor und wird sogleich zu einer „wichtigen Person“, in deren Rücken sich Hunderte neugierige Blicke bohren. Auf der Flucht vor den fotografierenden Touristen stoße ich auf meine dänische Kollegin Heidi, die ein Vermögen für ihren neuen Hut ausgegeben hat. Ein Beefeater in roter Uniform nickt anerkennend. Heidi ist glücklich: Das Geld ist gut angelegt.
Warteschlange zur GartenpartyWir gehen an den Wachen vorbei zur berühmten Tür, vor der am 29. April die Hochzeits-Kutsche mit Prinz William und Kate Middleton gehalten hat. Ein kleiner Durchgang führt in den Garten, in dem bereits die „Gentlemen Ushers“ umherschwirren. Die königlichen Platzanweiser suchen nach interessanten und wichtigen Leuten, mit denen sie später die Queen zum Small Talk zusammenführen werden. Ich mache mir nicht die Mühe, die Blicke der fleißigen Zylinderträger zu suchen: Seit meiner ersten Party weiß ich, dass man als Korrespondent im Palast weder interessant noch wichtig ist. Ich habe außerdem gelernt, dass man auf keinen Fall Notizen machen sollte.
Letztes Mal stand ich aufgewühlt inmitten der Gästeschar und hielt hektisch meine Eindrücke in einem kleinen Notizblock fest. Plötzlich erschien neben mir ein Polizist in Zivil. „Sir, was schreiben sie da?“, hat er ziemlich laut gefragt. „Ich bin ein Journalist“, antwortete ich ehrlich. „Aber was schreiben sie?“, wiederholte der Agent ungläubig. Er gab sich erst zufrieden, als er meinen Presseausweis sah. Zum Glück musste ich nicht auch noch die Gasrechnung herausholen.
Groß und schön ist der königliche Garten. Die Bäume akkurat gestutzt und der gepflegte Rasen so makellos, dass man lange nach einem heruntergefallenen Blatt suchen muss. Das Publikum vermischt sich hier mit den Palastdienern und den Agenten Ihrer Majestät. Die Letzteren sind zu erkennen an den runden Funk-Empfängern in ihren Ohren. Die Männer bei der Party unterteilen sich in fünf Kategorien: die mit den Knöpfen im Ohr, die uniformierten Militärs, die Juristen in teuren Anzügen, die Bürgermeister mit massiven goldglänzenden Ketten und die Frackträger mit Zylindern. Bei den Frauen dagegen gibt es nur zwei Kategorien: die mit Hüten und die mit den bizarren, geflügelten Kunstwerken aus Federn, die in den Haaren klemmen.
Schwitzende Palastwachen. Die Gäste eilen zu den grüngestreiften Zelten, um sich mit Häppchen zu stärken. Unterwegs werden sie von höflichen Palastangestellten abgefangen. „Wäre es für Sie hilfreich, wenn ich Ihnen jetzt sagen würde, dass Sie in der Mitte des Zeltes ihre wertvolle Zeit sparen würden, weil dort weniger los ist?“, sagt einer. Und er hat recht. Mit einer Gurken- und Schinkenbrotpyramide auf dem kleinen Teller suche ich nach einem freien Tisch. Nach Angaben des Königshofs werden jedes Jahr bei den Partys 20 000 Sandwiches und 12 000 Kuchen serviert. Dazu trinken die Gäste 27 000 Tassen Tee, eine Mischung aus Assam- und Darjeeling-Sorten.
Kurz vor der Ankunft Ihrer Majestät marschieren die Beefeaters feierlich die breite Treppe hinunter, um die Menge zu zerteilen und die Menschen zurückzudrängen. Punkt vier Uhr entblößt der „Usher“ am Treppenkopf das Haupt – es geht los! In den Ohren dröhnt „God save the Queen“, hinter den Zylindern ist die Monarchin kaum zu erkennen. „Sie ist so klein“, flüstern die Menschen. Elizabeth II. trägt einen fliederfarbenen Anzug mit einem passenden Hut. Schade, ich hatte bei einer Wette mit Heidi auf hellgrün getippt.
Langsam geht die lächelnde Queen vorbei an den Lanzenträgern in bunten Kostümen. „William und Kate haben sich in ihren neuen Rollen gut eingelebt“, erzählt sie einer neugierigen australischen Anwältin. „Oh, die Straßen in London sind so furchtbar, nicht wahr?“, klagt die Gastgeberin einem verständnisvoll nickenden Taxifahrer. Einem älteren Ehepaar aus Hampshire sagt Elizabeth II., dass der „gute Gemeinschaftsgeist in den Dörfern“ rar geworden sei. Verzeihung, Ihre Majestät, aber woher wissen Sie das? Eine andere Bemerkung wird den Premier David Cameron freuen. Zwar sei die Wirtschaftslage schlecht, aber die britische Zukunft sei rosig, verrät die Queen einer Besucherin. Na bestens.
Da ist sie ja, die Queen! Nein, nur ein Touristenscherz am Palast...„Wunderschön... großartig“, murmelt die Menge. Ich denke plötzlich daran, dass ich die 85-jährige Königin heute womöglich zum letzten Mal live erleben könnte. Sie wirkt aber fit und fröhlich. Der schlanke Prinz Philip an ihrer Seite lächelt uns im Vorbeigehen zu und stürzt sich auf den rot gekleideten Priester. Die Band spielt die Filmmusik aus „Indiana Jones“ und „Lucy In The Sky With Diamonds“. Eine halbe Stunde später ist die Stimmung bereits so locker, dass manche Gäste im Frack sich auf dem Gras ausstrecken.
Heidi und ich wollen die geheimen Ecken des Palastgartens erkunden, also machen wir uns auf den Weg. Weiter hinten im grünen Paradies der Queen nehmen die Ladies heimlich ihre Schuhe ab und laufen barfuß auf dem Rasen. Vermutlich sehen das aber die Palastwachen in ihren Überwachungskameras, die hier und dort zwischen den Bäumen stehen. Es ist idyllisch hier. In der Ferne rauscht der Londoner Stadtverkehr. Wir entdecken einen unansehnlichen, verkrümmten Baum, gepflanzt vom kleinen Charles, und einen geheimen Tennisplatz, auf dem Elizabeth II. und Philip wahrscheinlich die schönsten Wimbledon-Partien nachspielen.
Zurück am „Royalen Teezelt“ mischen wir uns unter Tausende Voyeuristen, die fasziniert die teetrinkende Königin anstarren. Ich denke an einen Zoo. Eine Dreiviertelstunde später werden alle Beifall klatschen, wenn die Queen ihre Party verlassen wird. Auch ich muss los. Draußen vor dem Palast sehe ich die feinen Damen mit einem seligen Lächeln aus ihren teuren Schuhen in die Badelatschen schlüpfen.